Wer heute mit der Eisenbahn reist (was grundsätzlich lobenswert ist), gerät allenfalls
wegen Verspätungen oder den Fahrpreisen in Aufregung. Die aalglatt–windschnittigen Fahrzeuge
hingegen werden wohl nur selten spontane Emotionen auslösen (es sei denn, die Türen öffnen sich mal wieder nicht - oder der Reisende ist begeisterter
Epoche V–Fan).
Das war vor etlichen Jahren noch anders. Da fauchte und schnaubte das Dampfross auf dem Bahndamm
bedrohlich nahe vorbei und zeigte deutlich, was Kraft bedeutet. Die Erinnerung an diese Erlebnisse
in der Jugendzeit ließ später vielen beim Modellbahn–Fachhändler den Griff ins
Portemonnaie (tja - so wurde das damals geschrieben) leichter fallen.
Nun sind allerdings die Menschen, die die Dampflok–Ära noch live
erleben durften, auch schon nicht mehr die Jüngsten. Und - nicht zuletzt ausgelöst durch
deren Forderungen nach immer detaillierteren und technisch perfekteren Modellen - haben die Preise
für Modelleisenbahnen erheblich angezogen. Zu schlechter letzt ist die konjunkturelle Lage derzeit nicht
gerade rosig. Den Silberstreif am Horizont erkennt allenfalls der Finanzminister, wenn es ihm
einmal wieder geglückt ist, eine Finanzierungslücke von A nach B zu schieben.
Diese Folgen spüren auch renommierte und Traditions–bewusste Unternehmen (und natürlich
die strategischen Fehlentscheidungen). Der härtere Markt und die Geldbörsen aus Zwiebelleder
(demjenigen, der sie öffnet, steigen Tränen in die Augen) sorgen für einen brettharten
Überlebenskampf. Davon zeugen die in den letzten Jahren immer häufigeren Insolvenzen führender Hersteller.
Nicht nur, dass es angesichts dieser Umstände schwierig ist, Nachwuchs für eines der
vielfältigsten Hobbys der Welt zu gewinnen - die potenzielle Klientel entdeckt für
sich zunehmend die aus Amerika herüber geschwappte Maxime: „Geld wert ist mir,
was möglichst langen Bastelspaß mit einem dauerhaft überzeugenden Ergebnis bringt
”.
Kurzum, es wird mehr selbst gebaut und das Geld zu den Herstellern von Zubehör, Bauteilen
und Bausätzen getragen, als dass es wie einst noch blindwütig in jede noch so skurrile
Neuheit der Nürnberger Spielwarenmesse gesteckt wird. Der Markt verkleinert sich weiter.
Aber ach, diese an sich positive Entwicklung bringt wieder einen kleinen Nachteil: Die
nötigen Fertigkeiten wollen erst einmal erlernt sein. Dass so etwas überhaupt möglich ist,
erfahren viele Interessenten gar nicht erst. Da dürfen sich die engagierten Modellbahner nicht
in die Tasche lügen. Klappern gehört zum Handwerk, und wie so etwas auch klappen kann, beweist das
Fremde Seite
Miniatur Wunderland
in der Hamburger Speicherstadt mit zahlreichen Fernsehauftritten und Veröffentlichungen.
Das Eisenbahnmodelltechnik–Projekt hat sich unter Anderem auf die
Fahnen geschrieben, beiden Übeln ein wenig abzuhelfen.
… ist eine seltsame Spezies. Es gibt
mehrere Hauptgattungen, die sich deutlich voneinander unterscheiden.
Da ist zum Einen der Sammler. Er leidet unter zwei Problemen: Geldmangel (denn er möchte
gerne alles kaufen, was zu seinem Bereich passt) und teilweise Platzproblemen (wenn er nämlich diesen
Bereich nicht deutlich genug eingeschränkt hat und doch über genug Geld verfügt).
Was den Sammler genau bewegt, ist nicht ganz klar. Ist es die Technik–Faszination?
Die würde von wenigen, dafür aber exzellenten Modellen mindestens ebenso gut herüber
gebracht wie von einem Schrank voller antiquierter Sondereditionen mit fragwürdigem
Vorbild. Ist es die bloße Sammelleidenschaft? Da gäbe es billigere Betätigungsfelder,
beispielsweise Weinetiketten (was gleichzeitig für die abendliche Entspannung sorgen könnte).
Über die Motivation der zweiten - allmählich aussterbenden Gruppe - wurde weiter oben
schon etwas gesagt. Diese Modellbahner wollen ihre Jugendzeit nachbilden
und in der Erinnerung lebendig halten. Sie gehören wahrscheinlich mit zu den ambitioniertesten
und engagiertesten Hobbybahnern überhaupt. Das hat auch die Modellbahn–Industrie erkannt
und bietet immer mehr Modelle an, die exakt der Ausführung einer bestimmten Zeit entsprechen.
Die Schöpfer erfreuen sich daran, im Kleinen eine Welt zu erschaffen, die ihren Vorstellungen
entspricht. Diese Gruppe hebt sich durch besondere Kreativität hervor. Und ihr kann nicht einmal Schönfärberei
vorgeworfen werden: Die gewählten Motive geben teilweise einen recht rauen Alltag wieder.
Noch vor etwa 25 Jahren konnte der damals schon missgestimmte Leser den einschlägigen
Katalogen entnehmen, dass dort freudig auch die Ewiggestrigen bedient
wurden, die die Ansicht vertraten, ein mickriges Schnauzbärtchen, markige Worte,
gestörte bis gefährliche Ideen, gemischt mit Propaganda und einer abstrusen Symbolik,
könnten eine bessere Welt schaffen. Anscheinend hat jedoch eine deutliche Ablehnung
in der Gesellschaft dafür gesorgt, dass das „tausendjährige” Reich auch im Maßstab 1:87 nicht wieder aufsteht.
Es bleiben die Vorbild–orientierten Bastler. Sie sind sicher von der
Technik des Originals fasziniert, und sie haben für sich einen goldenen Mittelweg gefunden:
Der Weg ist das Ziel. Ein Vorbild wird sorgfältig nach den eigenen Fähigkeiten
und verfügbaren Informationen ausgewählt, und dann heißt es: Das Beste ist gerade gut genug.
Mit teils hochmodernen Mitteln werden nahezu perfekte, verkleinerte Kopien der großen
Eisenbahnen nachgebaut - und nicht nur diese. Der Bastler läuft mit offenen Augen und der stets griffbereiten
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durch die Welt, denn er interessiert sich für jedes Detail. So bildet sich im Laufe der
Zeit ein erhebliches know how zum realistischen Bau von Modellen aller Art,
die selbst Laien ein beeindrucktes „Oha
” entlocken.
Der Modellbahner galt lange Zeit - zu Unrecht - in der Öffentlichkeit als verschrobener Einzelgänger,
der abends im Keller verschwindet, um in den Morgenstunden mit rotgeäderten Augen nach einsamem
Spiel ins Bett zu fallen - sozial inkompetent und gesellschaftlich eher verspottet als geachtet.
Zahllose Verbände und Organisationen, öffentliche Ausstellungen und Vereine beweisen,
dass dies kein Abbild der Realität ist. Der „durchschnittliche” Modelleisenbahner
ist kommunikationsfreudig, hilfsbereit, aufgeschlossen - und gesellig.
Welchen Nutzen hat die Beschäftigung mit dem Hobby Modelleisenbahn eigentlich? Es frisst es doch vorwiegend Geld - und viel Zeit.
Auf der Suche nach Antworten müssen zwei Bereiche unterschieden werden: Der Nutzen für den Modellbahner selbst und der für die Allgemeinheit.
Zur Modellbahn kann weit mehr gehören als nur das Spiel auf zusammen gesteckten Gleisen, der
Modul– oder Festanlage. Die (mehr oder minder) kleine Eisenbahn und ihr Umfeld können unsere
Fantasie beflügeln und als Sinnbild oder Aufhänger für eine vielschichtige Beschäftigung mit
technischen, wirtschaftlichen, sozialen und geschichtlichen Fragen dienen, ganz abgesehen
davon, dass unsere Kinder durch sie sonst schwer vermittelbare - weil zu abstrakte - Einsichten und Erfahrungen gewinnen.
Wo sind beispielsweise heute noch der Vater oder die Mutter, die mit ihren Kindern Laubsägearbeiten
machen? Wie viele Kinder erhalten die Gelegenheit, ein schnaubendes Dampfross (und sei es nur dessen
Liliput–Ausgabe bei einer Feldbahn) in „echt” zu erleben? Bei Feldbahn–Loks
schnaubt übrigens gar nichts - ein leises Zischen und allenfalls ein lauter Pfiff oder ein lautes Diesel–Nageln - mehr gibt's nicht.
Hobby–Eisenbahner sind auch Bewahrer. Ohne ihr Engagement wäre manches
Kulturgut schon unrettbar verloren gegangen. Nur durch den aufopfernden Einsatz ehrenamtlicher
Helfer konnten viele Fahrzeuge und Bahnanlagen für die Nachwelt erhalten werden.
Der Modelleisenbahner selbst findet natürlich Ablenkung in seiner Freizeit–Beschäftigung.
Bei seinen anstehenden Aufgaben vergisst er zumindest zeitweise Inflationsdruck und Konjunktur, Arbeitslosigkeit und Sorgen anderer Art.
Aus dem Gelingen teils aufwendiger Projekte schöpfen er oder sie Motivation zur
Bewältigung auch schwieriger Aufgaben des täglichen Lebens - des Lebens, das sich
außerhalb des Kellers oder der vertrauten Küchentisch–Bastelfläche abspielt.
Die Psyche des Modellbahners sollte auch noch eine kurze Erwähnung wert sein. Er verbringt mühsam aus dem Alltag
frei geschaufelte Stunden an seinem Basteltisch und muss dabei manche Rückschläge weg stecken -
ohne deswegen eine öffentliche Anerkennung zu erhalten. Wer kennt nicht das verhaltene Schmunzeln der ahnungslosen Arbeitskollegen?
Nun, das macht der Hobbyist tapfer mit sich selbst oder nach dem oft späten Abschluss der Arbeiten in seinem Lieblingsforum aus.
Er beziehungsweise sie haben es jedoch verdient, dass auch die Allgemeinheit nachvollziehen kann,
wie es ist, wenn nach einer halben Stunde fieseligster Kleinarbeit das endlich zurecht geschnitzte
Teil plötzlich aus der Pinzette springt und auf Nimmerwiedersehen auf den Fußboden klingelt: frustrierend, zutiefst frustrierend.
Da gibt's nur eins: Ein neues „Hasseröder” muss her - so der Modellbahner ein wahrer
Fan der Harzer Schmalspurbahnen ist, trinkt er außer Wasser und Kaffee
nichts anderes (oder war es doch „Wernesgrüner”?) - und noch einmal von vorne anfangen.
Die Beschäftigung mit dem „schönsten Hobby der Welt
” lehrt nicht nur Geduld,
sondern auch Toleranz. Toleranz denen gegenüber, die sich noch nicht so weit vorgewagt haben, und Verständnis für die Probleme anderer.